
Am 03. Oktober jährte sich die konstituierte deutsche Einheit. Es gab Galas, Reportagen, Dokumentationen, Feiern. Häufig war die Erzählung zu hören, die als Geschichte verkauft wurde: Deutschland sei innovativ, international, erfolgreich. Die in Deutschland entwickelten Technologien, die Kultur und die internationalen Kooperationen seien vorbildlich und an der Spitze der Weltgemeinschaft. Nicht zuletzt sei dies auch der Überwindung des Nationalsozialismus und der Wiedervereinigung Deutschlands zu verdanken.
Wir alle sind an solche Erzählungen gewöhnt und glauben ihnen gerne. Aber leben wir wirklich in dieser Utopie?
Da gibt es doch auch noch diese andere Geschichte: Deutschland steht an der Spitze der Ausbeuterstaaten. Die sogenannten internationalen Beziehungen basieren auf kolonialistischen Strukturen. Die Handels- und Produktionsverbindungen basieren auf der Ausbeutung anderer Staaten und Menschen, die von den Kolonialstaaten Westeuropas kulturell überrollt und versklavt wurden. Auch die deutsche Demokratie ist auf einem Gerüst der Zerstörung und Ausbeutung von Menschen und Erdressourcen aufgebaut. Innovation hat das Klima dieses Planeten zerstört. Unser Wohlstand ist auf Leichen gebaut.
Und ist der Nationalsozialismus überwunden? Nun ja: Die Menschen wurden 1945 von den Alliierten befreit und der Krieg war zu Ende, aber Nazis sitzen auch heute noch in unseren Parlamenten, in wichtigen gesellschaftlichen Positionen, in Vereinen, im Staatsapparat und in den Köpfen der Menschen. So hat die kürzlich veröffentlichte „Mitte-Studie“ der Friedrich-Ebert-Stiftung ergeben, dass jeder Zwölfte in Deutschland ein rechtsextremes Weltbild teilt und 6% der Deutschen sozialdarwinistischen Ansichten zustimmen. Zum Beispiel, dass es wertvolles und unwertes Leben gibt. Menschen, die diese und ähnliche Überzeugungen teilen, ordnen sich selbst der sogenannten Mitte der Gesellschaft zu.
Und nicht nur, dass Nazis offen in deutschen Parlamenten und Institutionen sitzen, es werden auch Gas- und Ölimportverträge mit Diktatoren und Autokratien abgeschlossen, der eine demokratische Staat wird nach einem Angriffskrieg militärisch unterstützt, über die Auslöschung eines anderen demokratischen Staates fällt kaum ein öffentliches Wort - oder eine Unterstützung. Umweltaktivist*innen werden juristisch mit Terrorist*innen gleichgesetzt; der Bundestag entzieht Demokratiebildungsprojekten die Fördergelder; in den Medien kommen immer mehr Menschenfeinde zu Wort; unerträglich abwertende, entmenschlichende Äußerungen werden von Politiker*innen, Moderator*innen, Youtuber*innen etc. offen getätigt und reproduziert; Lobbyismus ist in der deutschen Politik nicht verboten und wird vor allem von oligarchischen und rechtsextremen Strukturen genutzt, die sich damit Macht und Deutungshoheit erkaufen
Es ist 100%ig bekannt, was getan werden muss, um unser Klima zumindest wieder positiv zu beeinflussen - aber es wird von den dafür Gewählten einfach nicht getan. Flüchtenden Menschen wird laut hörbar, symbolisch und real in den Rücken geschossen.
Das ist nicht verwunderlich, es passt nur nicht in die Geschichte Deutschlands, die gerne erzählt wird.
Der Feiertag, den wir am 3. Oktober feiern, ist der Tag an dem Politiker*innen Verträge schlossen. Verträge, die eine anhaltende Marginalisierung der Menschen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR zur Folge haben. Eine Fortsetzung der kolonialen Kultur.
Diesen Verträgen ging eine friedliche Revolution voraus. Nicht die Regierenden, nicht die Staatsmächte, nicht die Führungsebenen haben für den Wandel gesorgt und eine Befreiung ermöglicht; es waren die Zivilist*innen, die sich zusammenschlossen.
In welcher Geschichte sind wir NaturFreund*innen nun? Welche Erzählung verbreiten wir? Welche Demokratie verteidigen wir? Was ist unsere Utopie für diesen Staat und diese Demokratie? Und welche Rolle übernehmen wir NaturFreund*innen? Wir sind Zivilist*innen, wir sind die Zivilgesellschaft. Wenn wir es wollen, dann sind wir auch Verteidiger*innen.